Alpine Höhenwanderung: Unterwegs auf der Verwall-Runde

"Eine Möglichkeit dem Alltag zu entfliehen und die leeren Energiereserven mental und physisch wieder aufzufrischen, stellen Höhenwanderungen dar. Sie bieten eine gute Mischung aus physischer Anstrengung, geselliger Entspannung und individuellem, purem Naturgenuß."

So jedenfalls hatte ich mir meine Flucht aus dem Alltag in das Abenteuer Alpen vorgestellt. Ich war mir nur noch nicht schlüssig, wo ich meine Lust auf den Berg frei entfalten konnte. Da kam mir die Anzeige im DAV Panorama-Heft, Ausgabe Juni 2006, wie gerufen, in der eine Höhenwanderung in der Verwallgruppe der Ostalpen beworben wurde. Es geht hier um eine mehrtägige Hüttenwanderung, die tagelanges Höhenwandern ständig über 2000m, zwischen Gletschern, Bergseen, Bächen und Flora beinhaltet und berauschende Ein- und Ausblicke in die Täler und das Alpmassiv bietet.

Anfang Juli noch ein wenig im Winterschlaf. Der auf 2560m gelegene Schmalzgrubensee ist auf dem Weg von der Edmund-Graf-Hütte zur Niederelbehütte ein lohnendes Zwischenziel. Kieler Weg und Rifflerweg führen den Höhenwanderer 4 ½ h über einen sehr lohnenden alpinen Steig über Geröll, Schneefelder und Wiese von Hütte zu Hütte (550 Hm auf und 500 Hm ab).

Die gut geführten Hütten der Sektionen von Innsbruck bis Hamburg besitzen eine strategisch günstige Lage, da fast immer ein Abstieg in das Tal oder 1-3 Hütten von jedem Punkt der Wanderung angelaufen werden können. Bei schwierigem Wetter kann die Tour so jederzeit "umgebaut" werden und der angenehmere Weg gewählt werden.
Ich hatte mich entschlossen meine Wanderung in Pettneu am Arlberg mit dem Aufstieg zur Edmund-Graf-Hütte zu beginnen und dann dem durch die DAV Sektion Reutlingen empfohlenen Routenverlauf zu folgen.

Anreise

Die Verwallgruppe liegt im westlichen Teil der Ostalpen, südlich von Tirol und Voralrberg. Die Ein- und Ausstiegsorte der Verwall-Runde Pettneu am Arlberg und St. Anton am Arlberg sind mit dem Auto oder Bahn von Westen über Bludenz und von Osten über Landeck ausgezeichnet zu erreichen (wer mit dem Auto von Westen durch den Arlbergtunnel kommt hat eine Tunnelmaut von 8,50 EUR zu entrichten). In Pettneu gibt es direkt nach Verlassen der Arlbergschnellstraße E60 eine kostenfreie Parkmöglichkeit neben dem Campingplatz. Wer möchte kann auch von Kappl, Ulmich, Ischgl, Galtür, Mathon, Gaschurn, Langen oder Stuben in die Runde einsteigen.

Anforderungen und Vorbereitungen

Eine Höhenwanderung kann dem unternehmungsfreudigen und euphorisierten Wanderer in Teilabschnitten körperlich und geistig sehr viel abverlangen. Er wird mit zum Teil schwierigen Wegabschnitten über lockeres Geröll, steilen Schnee- und Eisfeldern, steile Passagen mit Seilsicherungen und Wegen an tiefen Abgründen konfrontiert. Schwindelfreiheit, Trittsicherheit sowie eine gute Konstitution sind unumgänglich. Die Wege der Verwall-Runde gelten fast alle als hochalpine Steige mit Höhenunterschieden von 500 - 1000m jeweils in Auf- und Abstieg. Auf den schwierigen Passagen kann unter Umständen jedoch, je nach Zustand der Wege, der Einsatz von Steigeisen und Eispickel und die Zuhilfenahme einer Hand notwendig sein.

Seilsicherungen auf den auf dem Hoppe-Seyler-Weg von der Niederelbehütte zur Darmstädter Hütte (links) und auf dem Advokatenweg von der Darmstädter Hütte zur Konstanzer Hütte (rechts). Der Hoppe-Seyler-Weg ist ein anspruchsvoller hochalpiner Steig (800 Hm auf, 850 Hm ab) mit ca. 6 h Wanderzeit. Die Wanderung zur Konstanzer Hütte nimmt 4 h Gehzeit in Anspruch (350 Hm auf und 1050 Hm ab). Oft scheint es, als ob sich der Weg im Nirgendwo verliert (mitte). Die exponierte Lage, wie hier auf dem Friedrichshafener Weg (Konstanzer Hütte zur Friedrichshafener Hütte, 950 Hm auf, 500 Hm ab, 4 ½ h Gehzeit) erfordert vielerorts Trittsicherheit und Schwindelfreiheit.

Weiterführende Informationen zum Gebiet, zu den Wanderungen und den Hütten lassen sich im Internet unter www.dav-reutlingen.de und www.verwall.de entnehmen. Unter der ersten Adresse steht eine Broschüre im pdf-Format zum Download bereit, unter der zweiten ist eine wirklich sehr gelungene und detaillierte Beschreibung fast aller in diesem Gebiet durchführbaren Wanderungen inklusive Höhenprofile zusammengestellt worden.
Als Literatur empfehlen sich unbedingt der Alpenvereinsführer "Verwallgruppe" aus dem Bergverlag Rother (ISBN 3-7633-1251-x) und die Alpenvereinskarte 28/2 "Verwallgruppe Mitte" Maßtstab 1:25.000 (ISBN 3-928777-36-x). Auf letzterer ist leider der nördliche und östliche Rand der vorgestellten Verwall-Wanderung nicht enthalten. Dies betrifft den Einstieg über die Edmund-Graf-Hütte inklusive Rifflerweg und Kieler Weg zur Niederelbehütte. Dies stellt aber nicht wirklich ein Problem dar, da der Weg gut markiert und nicht zu verfehlen ist.

Wetter und beste Reisezeit

Da die Hütten fast alle gegen Ende Juni/Anfang Juli öffnen, kann bereits zur Blütezeit der Alpenflora mit der Tour begonnen werden. Zu dieser Zeit ist noch wenig Verkehr auf den Touren und auf den Hütten. Mir sind auf meinen Wanderungen ein einziges Mal Wanderer begegnet. Auf den Hütten konnte ich oft den Luxus genießen, den kompletten Lagerraum für mich zu haben. Vor Beginn der Wanderung empfiehlt es sich bei den Hüttenwirten anzurufen und sich dort nach der aktuellen Schneelage zu erkundigen. Ich hatte Anfang Juli immer wieder breite und zum Teil steile Schneefelder zu queren, die an manchen Stellen den Einsatz von Grödeln erforderten. Wer nicht unbedingt gleich am Anfang der Saison starten möchte, hat Zeit bis zum Hüttenschluß ende September. Hier kann es unter Umständen bereits zu Schneefällen und schwierigen Wetterlagen kommen.

Schnee auf den Wegen und schwankende Witterung sorgten immer wieder dafür, dass keine Langeweile aufkam. Hatte man gerade angehalten, um die Grödel für einen sicheren Stand im zum Teil vereisten Schnee zu montieren, folgte bald der Griff zur Regenjacke (links und mitte). Das Wetter kann sich in den Bergen sehr schnell umschlagen. Während auf dem Kappeler Kopf (2404 m) im Vordergrund des Gipfelkreuzes noch die Sonne scheint, ist in der Ferne schon das nahende Gewitter zu erahnen (rechts).

Die Hütten

Die Hütten der Verwallrunde gehören alle zur Kategorie I, die sie als Schutzhütten mit ursprünglichem Charakter für den Bergsteiger und Bergwanderer ausweist. Die Ausstattung ist schlicht; einfache Verköstigung wird geboten. Die meisten Hütten besitzen keine Duschen und zum Teil auch kein Warmwasser. Also Waschlappen nicht vergessen! Die Hüttenwirte und –innen sind alle sehr, sehr nett und stehen für Routeninformationen etc. mit Rat und Tat zur Seite. Übernachtet wird nachts im so genannten preisgünstigen Lager (6-8 EUR) oder Zimmerlager (10-14 EUR). Die Preise verstehen sich für Alpenvereinsmitglieder. Wer nicht im Verein ist, zahlt das Doppelte. Für eine warme Mahlzeit sind 8-10 EUR zu kalkulieren. Oft gibt es ein preisgünstiges Bergsteigeressen. Frühstück schlägt mit 4 EUR (kleines Frühstück; 2 Scheiben Brot, Butter, Marmelade) bis 6 EUR (großes Frühstück, 4 Scheiben Brot, Butter, Marmelade, Wurst und Käse) zu buche. Pro Aufenthalt habe ich als Richtwert so zwischen 30-35 EUR pro Hütte gelassen. Wer keine Lust hat, Unmengen von Müsli-Riegeln mitzuschleppen, kann sich auf der Hütte mit dem täglichen Bedarf an Schokolade eindecken (pro Riegel 1 EUR). Fast an jeder Hütte sind für Kletteranfänger kleine Klettergärten und Übungswände in kurzer Reichweite angelegt, die über installierte Bohrhaken verfügen. Nähere Informationen hierzu lassen sich sehr gut dem Alpenvereinsführer „Verwall-Gruppe“ entnehmen.

Urig anmutende Hütten sind das Tagesziel auf jeder Wanderung. Günstig übernachtet werden kann im Matratzenlager, wo Wolldecken und Kissen gestellt werden. Als Bettlaken –und Decke fungiert der mitgebrachte Hüttenschlafsack. Die Ausstattung der Hütten ist aufgrund der schwer zugänglichen Lage der Hütten einfach und bodenständig. Ist doch aber immer wieder schön zu merken, wie wenig man eigentlich braucht.

Die Wanderungen

Das Ziel, die Verwall-Runde vom Anfang bis zu Ende zu laufen, konnte ich aufgrund eines Schlechtwettereinbruchs noch vor Ankunft auf der Darmstädter Hütte nicht verwirklichen. Mein Routenverlauf beinhaltete daher in aufgeführter Reihenfolge folgende Hütten: Edmund-Graf-Hütte, Niederelbehütte. Darmstädter Hütte, Konstanzer Hütte, Friedrichshafener Hütte, Darmstädter Hütte und schließlich Abstieg nach St. Anton.
Die Wanderungen schwankten zwischen 3 ½ -7 h und entsprachen im Allgemeinen ziemlich genau den angegeben Zeiten, die sich als reine Gehzeit verstehen. Die Wege sind sicher beschildert und gut bis sehr gut in kurzen Abständen (20-40 m) markiert. Durch die Anfang Juli noch präsenten Schneefelder, die diese Markierungen verdeckten, hatte ich zwischenzeitlich einen Blick auf Karte und Kompaß nötig. Ein kleines Fernglas ist in solchen Fällen für die Erkennung der Markierungen sehr hilfreich. Die Wege sind sehr vielseitig und beinhalten alle in den Alpen möglichen Untergründe. Man wird in sanften bis sehr steilen An- und Abstiegen über Wiesen, Sand, leichten Schotter, groben Schotter, einfaches Geröll, grobes Geröll, Schnee und Eis geführt. Für die langen Abstiege empfiehlt es sich Trekkingstöcke dabei zu haben, die sich als Entlastung für die Knie als sehr wertvoll erwiesen haben. Der Hoppe-Seyler-Weg von der Niederelbehütte zur Darmstädter Hütte und der Ludwig-Dürr-Weg von der Darmstädter zur Friedrichshafener Hütte sind sehr anspruchsvoll und nur dem Bergerfahrenen zu empfehlen. Hier heißt es mit den Kräften hauszuhalten und trittsicher zu sein. Auf allen Wanderungen genießt man tolle Aussichten und immer wieder einen herrlichen, weiten Blick über die Alpen.

Die Höhenwege der Verwall-Runde sind sehr gut beschildert und markiert. Auch bei sehr nebligen Verhältnissen kann meist mit wenig Schwierigkeiten der nächste Abschnitt ausgemacht werden. Auf eine detaillierte Wanderkarte im Maßstab 1:25.000 sollte dennoch nicht verzichtet werden. Ein GPS kann im Zweifelsfall eine genaue Positionsangabe erleichtern.

Ausrüstungsliste

Da die individuellen Bedürfnisse bei jedem verschieden sind und Kompromisslösungen in Bezug auf Komfort und Gewicht bei jedem sehr unterschiedlich ausfallen, ist die unten aufgeführte Liste nur als Anregung zu verstehen. Alles in allem wog mein Rucksack inklusive 2 Liter Wasser, Müsli-Riegel und Landjägern am Anfang der Tour 9 kg.

Gerade der Punkt Proviant, wird bei jedem Wanderer sehr unterschiedlich ausfallen. Vom belegten Brot, über Müsli-Riegel, Schokolade, Power-Bars, Power-Gels, getrocknete Früchte, Nüsse etc. lässt sich vieles als Kohlenhydrat-Träger verwenden.

Auf keinen Fall fehlen dürfen aber Wanderschuhe und - socken, Regenhose und leichte Regenjacke, Kopfbedeckung und Funktionsunterwäsche. Dazu passen auf jeden Fall auch Handschuhe und Grödel, falls man mal ein Schneefeld durchqueren muss, sowie zur Orientierung ein Kompaß, Fernglas, Mobiltelefon oder auch GPS.

Für Abends sollte man auch nicht vergessen einen Hüttenschlafsack, Handtuch und Hüttenschuhe einzupacken. Dasselbe gilt natürlich auch für die Erste-Hilfe Tasche, in die unbedingt Sonnencreme, Verbandszeug und eine Signalpfeife gehören.

Fazit

Die Wanderung hält, was sie verspricht. In den 7 Tagen meiner Wanderung bin ich auf eine außergewöhnliche und eindrucksvolle Berglandschaft gestoßen. Trotz der zum Teil sehr anstrengenden Wanderungen ist der Erholungswert als absolut wertvoll einzuschätzen. Ich hoffe mit diesem Bericht ein paar Anregungen und das Interesse von Gleichgesinnten geweckt zu haben. An dieser Stelle mich ich jedoch warnen: "Der Berg ruft!" und macht süchtig.

Bericht als Pdf-Download (5MB)